Donnerstag, 9. März 2017
Ich kann nicht ich selbst sein, wenn jemand zusieht
Das Ziel dieses Blogs ist es, das Schreiben auszuprobieren. Ich möchte gerne spontan schreiben, deswegen habe ich mir den Timer auf zwanzig Minuten gestellt und schreibe einfach so darauf los. Aber es fällt mir schon jetzt schwer, natürlich zu schreiben und zu fühlen. Ich habe den Eindruck, dass das Wissen, für jemanden anderen zu schreiben, bzw. dass jemand anderer meine Texte lesen kann, mich zutiefst blockiert.

Ich fühle mich total verkrampft. Ich soll noch Bescheid geben, ob ich zum Klassentreffen komme. Schon wieder. Es kommt mir vor, als wäre das letzte erste vor kurzem gewesen - das, wo ich dann spontan doch nicht hingegangen bin. Und wo dann die Organisatorin einigermaßen böse auf mich war. Sie hat sich nicht geändert, und ich reagiere auch immer noch mit Rückzug auf jemanden so Anstrengenden.

Ich kann überhaupt nicht schreiben, wenn jemand mitliest. Was soll das Ganze? Wie werde ich jemals für andere schreiben können? Ich fühle mich zutiefst blockiert. Ich kann doch nicht immer nur zuhause Texte schreiben und sie nie veröffentlichen. Oder? Was hat das denn für einen Sinn?
Ich fühle mich immer noch so ungenügend wie als Kind. Mein Gott, dieses Scheiß kann doch sowieso kein Mensch lesen. Ich bin frustriert von meiner inneren Verstopfung und den vielen Gefühlen, die sich in mir aufgestaut haben. Ich will mich gerne befreien, aber ich kann nicht. Wenn jemand mitliest oder generell mich ansieht, dann kann ich nicht ich selbst sein, weil ich zu meiner eigenen Sicherheit immer so tun muss, als sei ich eine andere. Das habe ich in meiner Kindheit gelernt. Ich habe meinem Vater nicht gefallen, und das hat er durch Gemeinheiten zum Ausdruck gebracht. Ich habe versucht, dem entzusprechen, was er sich unter einer richtigen Tochter vorstellte. Für mein Gefühl hat er mich an den Attraktivitätsmaßstäben der Playmates gemessen, von denen überall im Haus Bilder herumhingen. Ich fühlte mich zutiefst unattraktiv, und das schon als kleines Mädchen! In diesem Alter sollte es einen doch nicht kümmern, auf welchen Frauentyp der eigene Vater steht! Das ist doch pervers! Aber ich war nicht die Perverse, sondern er. Ich will ihn hier nicht schlechter hinstellen, als er ist, aber eins ist doch sicher: Ein guter Vater lässt seine Tochter nicht teilhaben an seiner Sexualität, baggert vor ihr keine Frauen an und dergleichen. Ich habe mich so geschämt und gleichzeitig mich so ungenügend gefühlt. Damals, das war in den Achtziger Jahren, waren außerdem Mädchen mit schmalen Nasen schön, ich dagegen fand mich hässlich und andere mich auch, wie sie mir zu verstehen gaben. Dass ich mich sowieso schon meines Äußeren schämte hat die fruchtbare Grundlage gebildet für die Botschaft, dass Frauen Sexobjekte seien und ich folglich auch, selbst wenn ich noch lange nicht erwachsen war. Der Umgang meines Vaters mit Frauen hat mich mir selbst entfremdet. Ich fühlte, dass er Frauen wie ein dummes Stück Fleisch begegnete und so begann ich, mich ebenso zu fühlen. Als Ding, nicht als Mensch. Und ich wusste, dass dieses Ding gefallen musste, weil es sonst nichts wert war. Wie gesagt, mein Vater nahm mich nicht als Mensch war.

Wie bin ich jetzt wieder darauf gekommen? Ja - es gibt eine Verbindung mit dem Klassentreffen, denn dort möchte ich mich nicht zeigen, wie ich aussehe, so UNPERFEKT. Ich habe zu viel Gewicht. Ich habe nichts vorzuweisen. Wenn ich an all das denke, was ich nicht bin, aber sein sollte, dann fühlte ich mich wieder so beklemmt wie damals als Kind. Wie jedesmal, wenn ich schöne oder erfolgreiche Frauen sehe. Ich bin nicht hässlich, aber ich habe nicht die Idealfigur, und ich habe schon als Kind die Botschaft erhalten, dass ich ein nicht normal sei. Dass ich nicht erträglich sei, sondern dass man mich gerade noch dulden könne. Eine komische Person. Ein komisches Mädchen. Zu still, und nicht schön genug.

Ich freue mich schon, wenn diese Schreibsitzung endlich vorbei ist. Ich kann nicht frei sein. Ich kann nicht ich selbst sein, wenn jemand "zuschaut", oder in diesem Fall, mitliest. Das ist ein großes Problem für mich, denn ich habe dadurch nur eher angespannte Beziehungen zu anderen Menschen. Ich komme zwar gut mit einigen aus, aber nach unserem Beisammensein muss ich mich zuhaue ausruhen, weil ich mich in ihrer Gegenwart nicht entspannen konnte. Weil ich nicht in Ordnung bin und doch die ganze Zeit so tun muss, als wäre ich es. So tun muss, als hätte ich großes Selbstbewusstsein. Ich wäre gern akzeptabel, aber ich fühle mich nicht so. Vielleicht ändert sich das mit der Zeit. Vielleicht kann ich mich eines Tages mehr akzeptieren als jetzt. Vielleicht werden dann auch meine Texte besser und ich kann dann frei von der Leber und der Seele weg schreiben. Ich weiß es nicht, aber ich wünsche es mir. Das Schreiben, wenn ich es zuhaue auf dem Papier mache, unsichtbar für andere, ist eine Befreiung für mich, weil ich mir und dem Papier die Wahrheit zumuten darf. Aber ich habe wohl gelernt, dass ich das anderen Menschen gegenüber nicht soll. Ich kenne niemanden, dem ich die Wahrheit zumuten kann. Ich habe eine sogenannte Freundin, die mich zu Tode langwellig. ich kann ihr doch nicht sagen, dass ich nicht atmen kann in ihrer Gegenwart, oder? Dieses Gefühl, als ob ich nicht mehr voll atmen könnte, befällt mich öfter, wenn ich mit Menschen zusammen bin, die mich überhaupt nicht verstehen. Der Grund dafür, dass ich es auch allein zuhause bekomme, liegt wohl an meinem inneren Dialog. Wenn ich mich selbst verurteile, dann fühle ich mich ja auch unverstanden, von mir selber nämlich.

Ich fühle mich gehetzt, wenn anderen zuschauen. Ich muss schneller machen, meine Langsamkeit stört andere und man darf andere auf keinen Fall stören.
Ich fühle mich gehemmt, wenn ich mit anderen zusammen bin, denn ich habe Angst, dass sie meine ungewöhnliche und manchmal extreme Art verurteilen und dass ich mich dann wieder wie ein schlechter Mensch fühle.
Ich schäme mich dafür, dass ich eine bin, die Dinge kritisch anspricht, die den Finger in die Wunde legt. Ich weiß, ich bin eine lästige Frau, ein lästiges Mädchen. Das hat mir mein Vater schon als Kind beigebracht: Frauen sollen nicht "lästig sein", sie sollen sich nicht beschweren, sie haben keine Stimme, sie sollen sich nicht aufregen, denn ihre Ansichten sind nichts wert. Ich wünschte, ich könnte das loslassen, aber es schnürt mir den Atem ab und im Moment kann ich nichts dagegen tun.

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