Montag, 20. März 2017
Aufgabe erledigt
Dies ist mein letzter Beitrag in meinem etwas über einwöchigen Experiment, in dem ich ein paar Blogeinträge schreiben wollte, um mal zu sehen, ob mir das überhaupt Spaß macht. Ob das die Richtung ist, in die ich weitergehen will mit meiner Schreiberei.
Mein Fazit: Ich habe gerne diese eine Geschichte (zweiter Beitrag) geschrieben, aber jedes Mal beim Schreiben, und auch jetzt schon wieder ein bisschen, bekam ich so ein Beklemmungsgefühl. Das heißt doch, dass irgendwas nicht stimmt. Dass das nicht meins ist. Jetzt ist es aber grade nicht so schlimm. Ich schließe aus dieser Erfahrung nicht, dass das Schreiben an sich nicht das Richtige für mich ist, aber irgendwas ist an dem Prozess meines Schreibens falsch. Ich muss mit dem, was in mir ist, durch einen Prozess gehen, ich kann es nicht einfach auskotzen, sondern muss erstmal den Wasserhahn aufdrehen und den Dreck rauslassen, und dann das, was da aus mir rauswill, durch den Fleischwolf der Kunst drehen. Na, das was jetzt aber eine beschissene Metapher.

Soll heißen, ich kann oder sollte nicht einfach so wie jetzt drauf los schreiben, weil das irgendwie nichts zu bieten hat. Es ist keine Kunst, es ist gar nichts. Oder? Ich selber lese ja gerne die Tagebucheinträge anderer Leute, auch wenn sie nur davon schreiben, wie scheiße ihr Leben ist. Eigentlich freue ich mich über solche Einblicke, weil im realen Leben die Menschen so wenig darüber verraten, wie es ihnen wirklich geht.
Ich aber habe ein Problem damit, hier so einfach reinzuschreiben, was mir durch den Kopf geht, weil ich im Internet nicht anonym bin.

Ich frage mich halt, wo ich die Grenze ziehe beim Schreiben. Einerseits schreibe ich in mein Tagebuch, in das aus Papier, und da darf alles rein, denn es ist schließlich dafür da und außerdem aus Papier, das beruhigt mich irgendwie, weil es mich nicht ausspionieren kann.

Und da sind die kleinen Geschichten, die ich schreibe. Online und immer noch vor allem auf Papier. Ich frage mich, wohin das führen soll. Soll ich nicht noch mal versuchen, so etwas bei einem Literaturwettbewerb einzureichen? Bisher habe ich das schon zwei- oder dreimal gemacht, mit echt schlechten Sachen. Aber ich will mich nicht so hart beurteilen. Es waren meine ersten Versuche, und ich konnte keine Geschichten erzählen. Ich habe irgendwo gelesen, dass es ein Zeichen psychischer Wunden ist, wenn man keine Geschichten erzählen kann. Dann ist es ein gutes Zeichen, dass ich mir jetzt schon kleine Geschichten ausdenken kann, und dass es mir sogar Spaß macht. Das ist doch ein Heilungsprozess, oder nicht? Vielleicht ist das der Weg, den ich weitergehen sollte? Klingt gut und fühlt sich auch nicht so schlecht an. Ich glaube es zwar nicht, aber ich kann ja nicht sicher wissen, ob eine weitergehende innere Heilung nicht zur Folge haben wird, dass ich mir ganze Bücher ausdenken kann! Hoffentlich gute, denn ein schlechtes Buch zu schreiben ist ja hauptsächlich ein Resultat von Durchhaltefähigkeit und falscher Selbsteinschätzung.

Vielleicht lerne ich im Laufe der Zeit ja auch, weniger verschwurbelte Sätze zu schreiben. Obwohl, das Verschwurbelte, das gehört doch irgendwie zu mir. Selbst wenn ich rede, gelingt es mir meistens nicht - außer ich versuche es nicht bewusst - den geraden Pfad zu dem zu nehmen, was ich sagen will. Meistens mache ich Umwege durch ein mit Dornen bewachsenes, verwildertes Labyrinth. Und dann muss ich mich durchschlagen mit einem scharfen Schwert, wie der Prinz in "Dornröschen". Meistens ist es aber so, dass ich halt einfach den langen Weg gehe und mich die anderen dann nicht verstehen. Dann stammle ich herum und muss nach einer geraderen Formulierung suchen und alles noch einmal erklären, manchmal auch ein drittes Mal.

Wo war ich stehengeblieben? Ich wollte eigentlich über die verschiedenen Arten des Schreibens rede, die ich so betreibe. Beim Schreiben geht es mir einerseits um die Selbstreinigung, andererseits darum, Selbsterkenntnis zu erlangen und mich zu verändern, indem ich aufschreibe, was in mir vorgeht und im Schreiben in unbetretene Bereiche in mir vordringe. Die dritte, für mich neueste Art des Schreibens, ist das Geschichtenschreiben, das Abenteuer oder die Plagerei, mir eine Geschichte auszudenken und aufzuschreiben, was mir gerade so in die Feder rinnt. Das ist eigentlich am aufregendsten. Ich glaube, die Selbsterkenntnis und das Auskotzen ist nur für mich wichtig, und auch keine Leistung irgendwie. Das mache ich schon seit Jahrzehnten, und das meiste Tagebuchhafte, das ich geschrieben habe, ist für andere Menschen unzumutbar und uninteressant. Eigentlich ist es sogar uninteressant, wenn ich es anderen Menschen erzähle, weil ich irgendwie so ander Referenzpunkte als die meisten anderen habe, sodass sie nicht verstehen, wieso ich ihnen was auch immer erzähle. Nur manchmal finde ich Menschen, die auch so "innerlich" sind, "innenorientiert", deren Welt sich vor allem innen abspielt. So, dass man eben viel darüber zu sagen hat, wenn man jemandem gegenübersitzt, der das versteht. Dann unterhalten wir uns ganz wunderbar.

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Montag, 13. März 2017
Untergehen oder springen
Der alte Trainer rutschte unbehaglich auf seinem Sitz hin und her, ohne etwas zu erwidern. Es stand ihm der Sinn nach Veränderung, doch er wusste nicht genau, wie er das sagen, es ausdrücke sollte, ohne seinen Schützling zu verletzen. Dessen Karriere war zwar nicht garantiert, aber er war sehr talentiert, sodass er auch einen anderen Trainer finden und mit ihm den Zenit erreichen konnte. Doch was war mit seiner Frau? Er konnte es seiner Frau nicht sagen, weil er noch nicht wusste, was "es" war. Ja, er wünschte sich eine Veränderung herbei, wusste aber nicht, welche. Er wusste nicht, was da in ihm am Wachsen war und er konnte auch nicht feststellen, ob er einen konkreten Bereich seines Lebens neu beackern wollte oder ob "es" nicht eher ein Erdbeben war, das im Untergrund seines Lebens stattfand und eine solche Verwandlung mit sich brachte, dass er sich danach nicht mehr wiedererkennen würde. Wenn diese Welle ihn schon überrollen würde, dann wünschte er sich, dass es ohne Vorwarnung geschehen möge und ihn vor vollendete Tatsachen stellen würde. Der Gedanke daran, dass es ihm bestimmt war, eine große Transformation in seinem Leben zu durchlaufen, die bitter nötig war, doch die er durch radikale Schritte selbst einleiten müsste, war eine Qual für ihn. Dass diese Wagnis seine ihm bestimmte Aufgabe war, und dass er nie wieder glücklich sein, sich nie wieder so erfüllt wie jetzt fühlen würde, wenn er diesen notwendigen Reifungsprozess nicht mitmachte. Er kannte sich und wusste, dass er sich mit aller Kraft der Veränderung entgegenstemmen würde, auch um den Preis seines Glücks. Er hatte eine große Angst vor solchen Sprungbrettern, weil alle umbruchartigen Änderungen in seinem Leben zu einem totalen Kontrollverlust geführt und oft zu viel Leid und Schmerz, wenn auch mancher Freude geführt hatten. Deswegen wollte er, wenn es sein musste, davon überrollt werden und sich nicht auch noch "freiwillig" dafür entscheiden müssen, der Überrollung zuzustimmen oder nie wieder glücklich zu sein. Hätte er die Wahl, würde er für nein stimmen und sich selber zerstören, innerlich aufbrauchen und sterben, alles, aber nur nicht den Boden unter den Füßen weggezogen bekommen. Lieber verrottete und verging er in der ihm bekannten Misere, denn wenn sie auch immer schlimmer wurde, so war es doch nur eine Steigerung des ihm Bekannten, und das gab ihm Sicherheit.

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Freitag, 10. März 2017
Böses Mädchen
Der uralte Beamte zuckte resigniert mit den Schultern, als er mich hereinkommen sah. "Ich habe dich in den letzten Tagen nicht ein- und ausgehen sehen. Wo warst du denn die ganze Zeit? Bist du ausgeflogen?" Der uralte Beamte war Hausmeister in dem staatlich geführten (ich wollte fast schreiben, "staatlich besessenen") Studentenheim, in dem ich wohne. Ich war gerade stinkend und voller Alkoholflecken auf Kleidung und Haut vom Ausgehen in der Stadt zurückgekommen. Ich fühlte mich scheiße, aber gut. Scheiße, weil ich so müde war und so viel getrunken hatte, dass ich emotional und körperlich zutiefst erschöpft und aufgebraucht war. Gut fühlte ich mich, weil ich müde war und jetzt dann endlich schlafen durfte. Es ist schön, schlafen zu dürfen, wenn man müde ist. Hätte ja auch sein können, dass ich zur Arbeit hätte gehen müssen, theoretisch. Aber eine Arbeit tat ich mir nicht an, schließlich bekam ich Studienbeihilfe. Es ist schön, schlafen zu können, wenn man ins Bett geht. Und es ist schön, durch das frühmorgendliche Wien zu gehen, wenn andere Leute gerade auf dem Weg zu Arbeit und ganz tief in der Realität versunken und mit ihr eng verstrickt sind, während man selber keine Verpflichtungen hat und durch Müdigkeit und Alkohol das Leben oder das, was man dafür hält, so weit entfernt wahrnimmt, dass es einem ganz entspannt und sympathisch vorkommt. Das, und der Kontrast dessen zu der Geschäftigkeit und den schweren Verpflichtungen der anderen Menschen machte diese Spaziergänge und das Heimkommen vom Ausgehen so schön. Ein bisschen taten mir die Leute leid, die arbeiten mussten, aber nicht so sehr, dass ich es ihnen gleich getan hätte.

Für mich war es das Schönste, keine Verpflichtungen zu haben. So empfand ich das zumindest an diesem Samstagmorgen. An vielen andern Tagen war ich einsam, weil niemand mich brauchte und vermisste. So weit hatte ich mich schon aller Verpflichtungen entledigt, dass ich gar nicht mehr wusste, wie normale Beziehungen gehen, in denen man die andere Person und die Treffen mit ihr nicht zum Großteil, zu 50 % und eins als Belastung empfindet. Das war wohl der Grund dafür, dass ich es mit Beziehungen nicht so hatte. Ich hatte noch nie, so gut wie nie, normale Beziehungen gehabt, nämlich mit Menschen die ich mochte, mit denen ich zusammen war, weil ich es wollte, und sie wollten auch, das war ja das Schöne, und nicht weil ich musste, weil ich bestraft würde auf emotionale oder ganz greifbare Weise, wenn ich davon liefe.

Den uralten Hausmeisterbeamten nahm ich nicht wirklich ernst. Ich beneidete ihn ein bisschen um seinen Job, der ihn in einem Studentenheim mit Leuten wie mir soviel Zeit verbringen ließ. Ich dachte mir, selbst für später kann ich mir so einen Job nicht vorstellen, denn ich will frei sein, aber andere Leute, normale, arbeitsame Leute fänden sowas sicher nicht so schlecht. Immerhin war es ein sicherer Job, und das war es doch, was wir alle wollen: Sicherheit. Bloß, dass ich noch Freiheit extra dazu haben wollte.

Na gut, endlich zuhause. Zuhause, das war nicht nur mein kleines Studentenzimmer, sondern vor allem mein Bett. In meinem Bett fühlte ich mich von allen Orten auf der Welt am wohlsten. Es musste nicht genau dieses Bett sein. Auch wenn ich umzöge und große Schwierigkeiten hätte, mich in meiner neuen Umgebung einzugewöhnen, würde ich mich doch gleich wohl und geborgen und auf eine altbekannte Art zuhause fühlen, sobald ich in meinem neuen Bett landete. Ich ließ die Jalousien herunter, um meine müden Augen vor der aufgehenden Sonne zu schützen. Dieser Akt bereitete mir immer besonderes Vergnügen, weil er so schweinisch war, so arbeitsscheu, so unerhört und unmoralisch: Einfach die schöne Sonne auszusperren, wo meine Eltern mir doch immer gesagt hatten, ich solle rausgehen, wenn das Wetter schön ist, ich solle am Morgen den Tag geschäftig beginnen und am Abend zeitig ins Bett gehen. Lies nicht zu lange, schalt die Nachttischlampe aus. Ich genoss es so sehr, dass ich diebisch kicherte, als ich all diese Regeln der Vernunft brach und den helllichten Tag und den Ausblick auf die arbeitende, beschwerten Menschen aussperrte, mich um sieben Uhr morgens betrunken, stinkend und immer noch ungewaschen ins Bett legte, mich in die weiche, geliebte Decke wickelte und fast sofort einschlief.

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